Der Nordschwarzwald steht an einem wirtschaftlichen Wendepunkt: In der jüngsten Sitzung des Transformationsbeirats im Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald warnt Professor Dr. Bernhard Kölmel eindringlich vor einem Festhalten an bisherigen Erfolgsmodellen – und er skizziert eine neue Route für die Zukunft der Automobilzulieferer der Region.
Mit deutlichen Worten und einer fundierten Analyse hat Professor Dr. Bernhard Kölmel, Vorsitzender des Transformationsbeirats im Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald, vor den Mitgliedern des Transformationsbeirats die aktuelle Situation im Nordschwarzwald auf den Punkt gebracht: Als Zulieferer an der Automobilbranche festzuhalten, das ist für ihn „fahrlässig. Wir müssen im Nordschwarzwald die neuen, zukunftsorientierten Branchen adressieren“.
Kölmel sieht für die vielen Komponenten-Produzenten aus dem Automotiveberich in der Region keine tragfähige Zukunft mehr. Der Wandel der Branche mache deutlich: Die klassische Rolle des deutschen Zulieferers ist in einem global standardisierten Marktumfeld der Elektromobilität nicht mehr wettbewerbsfähig. Insbesondere weist er hierbei auf die rasante Entwicklung von MIH („Mobility in Harmony“) des taiwanesischen Technologieriesen Foxconn hin, dem sich schon 3000 internationale Unternehmen angeschlossen hätten.
Standard schlägt Präzision
Diese Plattformökonomie verändere das Spiel: Fahrzeugkomponenten für E-Autos würden weltweit standardisiert, Softwarearchitekturen offen bereitgestellt, Preise massiv gedrückt. Ein Inverter, früher für bis zu 1.000 Euro produziert, koste auf der Plattform nur noch rund 200 Euro. Deutsche Zulieferer könnten in diesem Kostenumfeld kaum bestehen. Und während sich Hersteller-Marken wie Mercedes, Porsche oder BMW durch ihre starke Position noch behaupten könnten – wenn auch mit Verlagerung von Wertschöpfung und Jobs ins Ausland –, sieht Kölmel deren Zulieferer aus der Region perspektivisch abgehängt.
„Good enough“-Technologie, also gerade gut genug für den Markt, wie sie etwa durch chinesische Anbieter vorangetrieben werde, verdränge das Qualitätsversprechen „Made in Germany“. Die traditionellen Stärken der Region – Präzision, Zuverlässigkeit, Qualität – verlieren dem Beiratsvorsitzenden zufolge in einem durch kommodifizierten, also durch standardisierte Produkte geprägten Markt an Bedeutung. Kölmels Analyse und Warnung: Die Nordschwarzwälder Zuliefererindustrie stehe vor einem strukturellen Bedeutungsverlust.
Zukunft durch Diversifikation
Die Antwort auf diesen Strukturwandel sieht Kölmel in der konsequenten Diversifikation. Der Nordschwarzwald müsse sich neu ausrichten – hin zu innovativen Branchen wie beispielsweise Medizintechnik, Robotik, Luft- und Raumfahrt, Automatisierungstechnik oder Defence. Dieser Wandel sei alternativlos, aber nicht kurzfristig umsetzbar. „Drei bis zehn Jahre dauert es, neue Märkte zu erschließen. Dafür braucht es Mut, Kapital, Kompetenz, gut ausgebildete Mitarbeiter – und einen langen Atem.“
Das Transformationsnetzwerk (TraFoNetz) Nordschwarzwald spiele laut Kölmel in diesem Wandel eine zentrale Rolle. Das TraFoNetz-Kompetenz-Team begleite Unternehmen bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, teste Innovationsstrategien und identifiziere zukunftsweisende Technologien. Gleichzeitig fordert Kölmel auch stärkere politische Unterstützung für mittelständische Zulieferer, da der Fokus bisher zu stark auf den renditeorientierten Automobilherstellern liege. Einen entsprechenden Aufruf zur Unterstützung der Region hat der Transformationsbeirat kürzlich der baden-württembergischen Wirtschaftsministerin übergeben.
Innovationskraft als einziger Wettbewerbsfaktor
Für Deutschland insgesamt formuliert Kölmel eine klare Diagnose: „Ohne Differenzierung durch echte Innovation ist die Wettbewerbsfähigkeit nicht zu halten.“ Ein bloßes Reagieren auf Marktveränderungen reiche nicht aus. Unternehmen müssten „dorthin laufen, wo der Puck sein wird, nicht dorthin, wo er gewesen ist“, zitiert er die Eishockey-Legende Wayne Gretzky.
Kölmels Appell vor den Mitgliedern des Transformationsbeirats, dem neben Unternehmen auch Vertreterinnen und Vertreter der regionalen Kommunen angehören: Der Nordschwarzwald hat die Chance, zum Pionier neuer Industriezweige zu werden. Aber dafür müssen sich die Unternehmen jetzt bewegen – und alte Gewissheiten hinter sich lassen.
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Quelle: Gerd Lache