Wie werden wir denn nun „innovativ“?

Quelle: Adobe Stock

Diese Frage stellt sich mir immer wieder neu, gerade im Hinblick auf das soeben begonnene Jahr 2020.

Im Gespräch mit Wolfgang Winderl, Bereichsdirektor mit langjähriger Führungsfunktion in einem Weltkonzern und einem Talent für Business- und Personalcoaching, ergaben sich spannende Antworten auf diese Frage.

„Wir brauchen mehr Innovationen“, diesen Satz habe ich in meinem 25-jährigen Berufsleben immer wieder gehört! Ich war dabei sowohl in der Entwicklung, meist jedoch im Produktmanagement in leitender Funktion tätig. Oftmals möchte die Geschäftsleitung oder Bereichsleitung die Innovationskraft der Mannschaft verbessern, manchmal auch per Befehl.
Als Chef im Produktmanagement gab man mir Innovationsziele wie beispielsweise jedes Jahr mindestens eine Innovation im Portfolio vorzustellen! Womit ist das dann aber getan - ziehe ich jetzt los und suche neue Leute für das Produktmanagement-Team? Ist das Team in der aktuellen Konstellation schon etwas innovationsmüde? Gebe ich mein Innovationsziel an mein Team weiter, oder bin ich als Führungskraft dann selbst der „Mr. Innovation“?
Auch organisatorische Ansätze habe ich dazu erleben und begleiten dürfen. So hatten wir im Entwicklungsbereich ein eigenes Innovationsteam installiert. Die besten Entwickler wurden dazu von den Aufgaben an den „Standard Produkten“ freigestellt. Zeit, Budget und Kreativität sollten damit nur für die Geburt neuer innovativer Produkte zur Verfügung stehen.
Unterschiedlichste Arten von Innovationsprozessen wurden über die Jahre immer wieder aus der Taufe gehoben. Sowohl einfache und schnelle Vorgänge, aber auch komplizierte und komplexe Prozesse. Die Komplexität schlug sich in mehrjährigen Business- und Stufenplänen mit Gates zur Bewertung der Rentabilität und Kontrolle der Investitionen nieder. So sollten die Innovationen Stück für Stück näher an ihre Realisierung herangeführt werden. Erst recht schwierig war das Vorankommen, wenn mit einer Innovation auch der Zugang zum Markt neu zu regeln wäre (Go-to-Market).
Auch die Frage, was denn nun eine Innovation ist, darf beantwortet werden. Ist der evolutionäre Ansatz, der sich oftmals aus der Weiterentwicklung der Technologie in der Zulieferindustrie ergibt (gestern war 1Gbit Übertragungsgeschwindigkeit, morgen wird sie bei 10 oder 25Gbit liegen) eine Innovation? Ist es eine Innovation, in ein Produkt etwas einzubauen, weil es technisch verfügbar und machbar ist (der Backofen, der jetzt dann auch ein WLAN Modul hat)? Geht es um ein Produkt mit Marketing-Effekt, welches tatsächlich keinen oder geringen Bedarf aus den Märkten hat, aber als technologische Demo ein „Hingucker“ mit „wow“-Effekt ist?
Ich möchte es hier mal für mich beantworten: Wenn die User-Experience auf ein neues Level gehoben wird, Probleme im Markt wirksam und nachhaltig gelöst werden, neue Anwendungsfälle möglich werden, Komplexität beim Kunden und im eigenen Unternehmen gesenkt wird, das Preis/Leistungsverhältnis deutlich verbessert wird, immer dann gehört es für mich in die Kategorie der Innovationen.
Dies kann auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden: Konstruktive Maßnahmen, bessere Integration vorhandener Lösungsbestandteile, geschickte Kombination neuer Fertigungstechnologien … im Zeitalter der Digitalisierung ließe sich die Liste beliebig fortsetzen. Der rein evolutionäre Fortschritt, der in den jeweiligen Industrien sowieso gekommen wäre, zählt für mich weniger zu einer unternehmensspezifischen Innovation. Allerdings ist das von mir keine allgemein gültige Definition. Wichtig ist aber, dass im jeweiligen Unternehmen dazu ein gemeinsames Verständnis geschaffen wird.
Wenn wir nun innovativ werden wollen, ist es letztlich nicht alleine die Frage eines Innovationsprozesses oder vorgegebener Innovationsziele. Diese formalen Bestandteile gehören auch mit dazu. Der wesentliche Faktor ist jedoch der Mensch! Der Mensch im Unternehmen, viele oder gar alle Menschen im Unternehmen. Und damit richtet sich der Fokus auf die Kultur, die Unternehmenskultur oder Bereichskultur und dafür ganz entscheidend: die Führungskultur! Ja, meine lieben Unternehmen, die Frage nach der eigenen Führungskultur, die dürfen wir uns alle stellen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Berücksichtigung der folgenden vier Punkte ganz entscheidend ist, um den Wandel hin zu einer innovationsfreundlicheren Kultur zu gestalten:

  1. Kundenverständnis: Innovation für den Kunden zu generieren heißt, dass möglichst alle im Unternehmen ein Bild von dem “Kunden“ haben, dessen Einsatz der Produkte und Lösungen verstehen und damit auch die Probleme, die sich Stand heute beim Kunden ergeben und die es zu lösen gilt. Ich möchte euch hier ermuntern, bringt eure Leute zum Kunden, auch den Kaufmann oder den Mitarbeiter aus der Fertigung. Wenn alle den Kundenkontext verstehen, dann machen auch alle bei innovativen Ideen mit. Darüber hinaus erzeugt ihr damit auch mehr Verbundenheit an internen und externen Schnittstellen.
  2. Kreativität: Gerade sie wird maßgeblich durch die Führungskultur beeinflusst. Kreativität braucht Raum und Eigenverantwortung in den Teams. Befähigt eure Leute zur Selbständigkeit - weniger Kontrolle, dafür mehr Vertrauen. Helft euren Leuten, selbst Entscheidungen zu treffen. Nehmt ihnen das nicht alles ab, dann wird Motivation und Freude am Tun Einzug halten. Coaching ist aus meiner Sicht ein hervorragendes Führungsinstrument! Nicht nur Vorgaben und Reporting, gebt auch Hilfe zur Selbsthilfe. Das heißt ja nicht, dass ihr eure Teams jetzt alleine lasst, ihr seid da, wenn ihr gebraucht werdet und kümmert euch darum, für eure Leute eine Umgebung zu schaffen, in der Kreativität eine Chance hat und wachsen kann.
  3. Querdenker: Achtet in euren Teams auf eine gute Balance der Skills, und dabei geht es nicht nur um die Fach-Skills. Emotionale und soziale Kompetenzen werden im Team-Mix häufig zu wenig berücksichtigt. Quereinsteiger mit „buntem Charakter und buntem Werdegang“ können Teams oftmals einen richtigen Schub verleihen. Ein Perspektivenwechsel ist „highly welcome“.
  4. Scham: Ein tabuisiertes Thema und dennoch in unserer gesellschaftlichen und unternehmerischen Kultur verankert. Die bekannte Schamforscherin Brené Brown beschreibt die Zusammenhänge zwischen Innovationen und Scham in Ihrem Buch „Verletzlichkeit macht stark“. So ist die Scham einer der Innovationshemmschuhe, die Angst, über die Idee ausgelacht zu werden oder zu ausgefallen zu sein. Die Angst zu versagen, sich zu irren, nicht gut genug zu sein. Dies setzt sich auch über die Führungsetagen hinaus fort, eben nicht mit der Ungewissheit und dem Risiko des gerade Erwähnten umgehen zu können. Brené Brown beschreibt in Ihrem Buch auch strategische Ansätze, zum Aufbau von schamresilienten Organisationen. Gezielter Einsatz von Führungspersönlichkeiten, die Großes wagen, ehrliche Gespräche fördern und normale Probleme als solche belassen, seien hier nur zur Abrundung erwähnt.

Wenn wir als Führungskräfte und Leader diese vier Punkte ernst nehmen und einen Wandel unserer Führungskultur erreichen wollen, dann ist Vorleben ein Weg, mit dem dieser Wandel gelingen kann. Ein Wandel betrifft alle Ebenen eines Unternehmens, und hierarchisch gesehen beginnt es ganz oben. Abgesehen davon kann jede Führungskraft schon heute beginnen, Veränderungen hin zu einer innovationsfreudigeren Umgebung im eigenen Wirkungskreis zu implementieren.
Letztlich haben wir in unseren Unternehmen schon fast „Alles“, lediglich das Potential, dass dieses „Alles“ zum Wirken kommt, das darf oftmals noch geweckt werden.


Text:
Herbert Wackenhut

Quellen:
Konstruktiver Austausch mit

WOLFGANG WINDERL
BUSINESS & PERSONALCOACH I MODERN LEADERSHIP I HUMAN DEVELOPMENT

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Das Projekt RegioINNO Nordschwarzwald ist ein prämiertes Projekt des Förderaufrufes „Regionales Innovationsmanagement“ des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg. Mit RegioINNO wird die zielgeführte Vernetzung der Innovationsakteure unterstützt und die Erarbeitung einer regionalen Innovationsstrategie vorangetrieben. Durch die Bündelung von Synergien und die aktive Einbindung aller Beteiligten soll die Zusammenarbeit zwischen der regionalen Wirtschaft und der Wissenschaft intensiviert werden.

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