Neu, aber bitte nicht zu anders

Menschen gieren nach neuen Produkten, Erfahrungen, Zuständen. Gleichzeitig wecken Veränderungen Ängste und Beharrungskräfte - über das höchst ambivalente Verhältnis zum Neuen.

Ende September entluden sich heftige Gewitter. Die Energiezellen verteilten sich weltweit über unzählige einzelne, lokal sehr eng definierte Orte. Die Ereignisse hatten sich angekündigt. Gewissheit stellte sich ein, als Tim Cook am 10. September in Kalifornien vor die Gläubigen trat und sprach. "Das", rief der Apple-Chef, während er auf die Bühne lief und eine winzige, aber effektvolle Pause einlegte, "ist das iPhone 11, die nächste iPhone-Generation." Applaus in den Rängen. "Es ist vollgepackt mit neuen großartigen Funktionen. Und hat ein unglaubliches neues Design." Das ist neu, das ist geil, hurra, hurra das neue iPhone. Kein anderer Konzern versteht sich so darauf, das Neue mit Pathos zu inszenieren. Und das Publikum ist gierig, wie überhaupt die Menschen scharf auf Neues sind, wenn es sich um begehrenswerte Produkte handelt.

Allerallertollste an dem Gerät war ein einziges Attribut: Es war neu.

Dennoch pflegen alle Menschen ein zumindest ambivalentes Verhältnis zum Neuen: Sie öffnen dem Neuen nur dann in heller Vorfreude die Arme, wenn es ihnen eine Belohnung verspricht und zwar bitte so eindeutig wie möglich. Vermuten sie hinter etwas Neuem hingegen Unangenehmes, und sei es nur Anstrengung oder Ungewissheit, versperren sie sich und reagieren unwirsch. Die Konfrontation mit neuen Ideen kann Angst auslösen. Das Fremde, das Ungewisse nämlich lässt sich auch mit dem Begriff "Neu" beschreiben, und beides weckt im Menschen erst mal Unbehagen statt neuronale Glücksgewitter.

Das neue iPhone knallt längst nicht mehr so

Der Besitz neuer Produkte löst zwar kurze Glückseruptionen aus, befeuert aber vor allem langfristiges Begehren nach mehr: Die Gier schwächt sich niemals ab, weil sich das Neue so schnell abnutzt und zum Alten wird. Es ist wie mit einer Droge. Bei den ersten Malen gerät die Welt aus den Fugen, doch entwickelt sich mit jeder Dosis eine Toleranz - und eine unerfüllbare Lücke, die einen plagt.

Möglicherweise ist der Verfall von heute erreichten Zielen und der Drang nach höher, weiter und schneller auch die Grundlage der Entwicklung bis zur heutigen Menschheitsgeschichte und der Nährboden der Innovation. Eine aufwachsende Generation und Gesellschaft für die der heutige Status quo schon morgen Staub ansetzt und neu angestoßen werden muss. Je älter wir werden, desto mehr braucht es, um uns aus dem Sessel zu locken. Es nimmt den gleichen Lauf wie auch andere Moden. Wenn alle jungen Männer Vollbart tragen, alle jungen Frauen Jeans mit hohem Bund anhaben, wenn irgendwann alle tätowiert sind, dann ist das nicht mehr neu, sondern öde. Das Neue ist flüchtig, deshalb ist der Bedarf daran auch so enorm.

Neulich auf dem Weg im Auto bestaunte der 3-jährige Sohn einen Schornstein einer lokalen Pektin Produktion. Der Schornstein dampfte intensiv und die Sonnenstrahlen streuten sich schön im erzeugten Morgennebel. Seine Begeisterung drückte sich in einem beherzten Ruck seines Sicherheitsgurts wieder – Papa guck! Da, eine Nebelmaschine… Mit seiner Hand darauf zielend als könne er es greifen.

Seine Denke zu einer Nebelmaschine gefiel mir und er befreite damit einen Gedanken: Es sind ja nicht nur die Produkte der Modeindustrie und die anderen Konsumgüter, die so schnell ihren Glanz verlieren, das ist eine ganz grundsätzliche Nebenwirkung des Lebens und vor allem des Älterwerdens.

Mit jedem Jahr auf dieser Erde schrumpft der Schatz des Unbekannten, des Unbegreiflichen. Der Blick für Situationen vergeht zu dem was es ist. Hier zu einem qualmendem Kamin. Da braucht es schon mehr, um einen in den Haltegurt springen zu lassen. Innovationen kompensieren die unfüllbare Lücke die unsere Wirtschaft und die Gesellschaft ständig plagt - Jedes neue danach ist eine neues davor. 

WELCOME TO THE FUTURE.

 

Text:
Herbert Wackenhut

Quellen:

27.12.2019, Sebastian Herrmann, Süddeutsche Zeitung - Neu, aber bitte nicht zu anders

 

Hintergrund RegioINNO:
Das Projekt RegioINNO Nordschwarzwald ist ein prämiertes Projekt des Förderaufrufes „Regionales Innovationsmanagement“ des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg. Mit RegioINNO wird die zielgeführte Vernetzung der Innovationsakteure unterstützt und die Erarbeitung einer regionalen Innovationsstrategie vorangetrieben. Durch die Bündelung von Synergien und die aktive Einbindung aller Beteiligten soll die Zusammenarbeit zwischen der regionalen Wirtschaft und der Wissenschaft intensiviert werden.

 

Unterstützt aus Mitteln des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg

ALLE NEWS